Studentenaufruf vom 16.05.2014

Liebe Studierende, Kollegen und Ehemalige,

ich richte mich heute mit einem sehr ernst gemeinten Aufruf an Sie alle. Es geht hierbei um nicht weniger als unsere gemeinsame Zukunft in einem friedlichen und vereinten Europa, das viele von uns für selbstverständlich erachten, weil sie nichts anderes kennen gelernt haben. Tatsächlich waren Frieden und Freiheit aber bislang nur eine sehr kurze Phase in unserer gemeinsamen Geschichte (siehe u. a. hier: http://www.liveleak.com/view?i=890_1367106116  und hier: https://www.youtube.com/watch?v=1hsDn2kNriI ). Die Sichtweisen und Blickwinkel auf unsere Welt haben sich aber in den letzten 6 Jahren dramatisch verändert (insbesondere auch bei mir). Noch vor zwei Jahren hätte auch ich ein Auseinanderbrechen der Europäischen Union für undenkbar gehalten. Allein die Tatsache, dass ich es nicht mehr mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließen kann, ist Anlass für diesen Aufruf.

Viele von Ihnen werden vermutlich zurzeit nicht verstehen, warum ich die aktuelle Situation für äußerst gefährlich halte. Uns geht es doch gut, wir haben unsere wirtschaftlichen Probleme der Vergangenheit gemeistert (scheinbar), wir haben unsere Schulden unter Kontrolle (scheinbar), die Beschäftigung steigt, das Wachstum ist stabil. Doch der äußere Schein trügt. Die aktuelle Situation in dieser Welt ist mindestens so ernst wie zurzeit der großen Depression 1929. Dass es nicht zum totalen Absturz gekommen ist, haben wir einzig und allein den Zentralbanken dieser Welt zu verdanken. Wer bei mir beim Thema Geld und Geldpolitik aber aufmerksam zugehört hatte, der hat vielleicht noch in Erinnerung, dass Geldpolitik zwar eine sehr wichtige Funktion in einer Volkswirtschaft hat, Geldpolitik aber keine realwirtschaftlichen Probleme lösen kann. Dass Einzige was sie kann, ist Zeit zu kaufen. Und diese Zeit zerrinnt unter unseren Händen, weil die meisten von uns die Ursachen dieser Krise bis heute nicht verstanden haben. Hierzu zählt übrigens auch ein großer Teil der ökonomischen Elite, die unsere Politiker berät (Frau Merkel kann einem da nur leidtun). Bislang gibt es nur wenige Vertreter der Mainstream-Ökonomie, die öffentlich eingestanden haben, dass sie sich in wesentlichen Punkten geirrt haben und ein großer Teil der makroökonomischen Lehrbücher in einigen wesentlichen Punkten umgeschrieben werden muss. Dass Fatale aber ist, dass diese Lehren die Basis für die politische Agenda dominieren. Zudem ist es der breiten Öffentlichkeit politisch kaum zu vermitteln, dass das, was man die letzten 30 Jahre gemacht und gepredigt hatte, in einigen zentralen Punkten falsch war und uns mit in diese äußerst kritische Lage gebracht hat.

Diese Problematik hat sich inzwischen auch bei den Studierenden dieser Welt herumgesprochen. Als Konsequenz erfolgte Anfang dieses Monats ein Aufruf einer Studenteninitiative aus z. Z. 22 Ländern für mehr Pluralismus in der Lehre. Diesen Aufruf kann ich nur unterstützen, wenn ich an meine eigene einseitige Ausbildung mit zum Teil irrelevanten und falschen Inhalten zurück denke. Den Aufruf finden Sie hier: http://www.isipe.net/  und eine interessante Diskussion dazu hier: http://blog.zeit.de/herdentrieb/2014/05/06/studentenaufruf-wider-die-intellektuelle-monokultur-in-den-wirtschaftswissenschaften_7346

Die wirklichen Ursachen dieser Krise liegen vor allem in einem nicht verstandenen Geldsystem. Selbst die Deutsche Bundesbank hatte bis zum Jahre 2008 (!) den Geldschöpfungsprozess in ihrem Schülerheft für die Sekundarstufe II falsch dargestellt. Einige von Ihnen werden dieses Heft noch kennen. Wenn aber sogar die Deutsche Bundesbank zuerst eine Finanzkrise benötigte, um zu erkennen, was Geld eigentlich ist und wie es entsteht, dann müssen wir uns nicht wundern, dass auch die meisten anderen Ökonomen nicht wissen, was Geld ist. In den allermeisten Lehrbüchern und Modellen der VWL gibt es überhaupt kein Geld; die tauschen noch wie Robinson und Freitag am Flussufer Bananen gegen Fische. Und ein persönliches Gespräch mit dem Leiter der Lehrerfortbildung anlässlich einer Veranstaltung der Bundesbank im November letzten Jahres war für mich ernüchternd und erschreckend zugleich. Die Gerüchteküche (Verschwörungstheorien haben hier einen wunderbaren Nährboden) brodelte so stark, dass die Bank of England als älteste Zentralbank der Welt Anfang März ein Video zu diesem Thema auf ihrer Website veröffentlichte, das weltweit für großes Aufsehen sorgte.

Wer die Krise verstehen möchte, der muss sich intensiv mit unserem Geldsystem auseinander setzten. Und nur dann, wenn man die Funktion von Geld in einem modernen Kreditgeldstandard verstanden hat, ist man auch in der Lage, die richtigen Lösungen zu finden. Davon sind wir leider noch meilenweit entfernt.

Wer eine erste Ahnung davon bekommen möchte, warum gerade wir Deutsche eine sehr unrühmliche Rolle in der Krisenbewältigung spielen und gerade dabei sind, ein weiteres Mal sehr große Schuld auf uns zu laden, der möge sich diesen Ausschnitt einer Pressekonferenz mit einem (deutschen) Vertreter der EZB in Irland anschauen, der sich am Ende des Beitrags befindet: http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/05/09/das-irische-geheimnis-der-ezb-wie-man-ein-kleines-land-ruiniert/

So ähnlich liefen und laufen die sogenannten Rettungsaktionen auch in den anderen Ländern ab. Ohne einen breiten öffentlichen Diskurs wird sich an den Verhältnissen aber nichts ändern. Der Druck auf die politischen Entscheidungsträger muss aus der breiten Bevölkerung kommen. Dieser Meinung bin nicht nur ich, sondern u. a. auch Martin Hellwig: http://www.wirtschaftsdienst.eu/veranstaltungen/veranstaltung.php?id=56

Finanzkrisen sind zugleich auch immer Überschuldungskrisen. Da die Schulden des einen aber immer das Vermögen des anderen sind, kann man auch von einer Vermögenskrise reden. Die Verhältnisse zwischen Gläubigern und Schuldnern sind immer nur bis zu einem gewissen Grad friedlich. Wir laufen Gefahr, hier eine Grenze zu überschreiten (im Falle Irlands ist dies schon lange passiert). Wenn sich erst einmal herumgesprochen haben sollte, dass es vor allem die deutschen Banken im Eurosystem waren, die völlig versagt haben und die Schuld im wahrsten Sinne des Wortes auf die Steuerzahler von vor allem Irland, Griechenland, Portugal und Spanien abgewälzt haben, anstatt für ihr eigenes Scheitern auch die moralische und finanzielle Verantwortung zu übernehmen und zu tragen, dann ist ein freiheitliches Europa bald Geschichte.

Um dies zu verhindern gibt es inzwischen mehrere Personen und Initiativen, die um Aufklärung bemüht sind. Aus diesem Grund hatte auch ich im September letzten Jahres einen eigenen Blog zu unserem fehlerhaften Geldsystem gestartet. Neben mehreren eigenen Beiträgen (Analysen und Lösungsstrategien) finden Sie hier auch zahlreiche Links zu wichtigen Artikeln, Vorträgen und Filmbeiträgen rund um das Thema Geld. So wie es meine Zeit zulässt, werde ich mich bemühen, aktuelle Entwicklungen weiter aktiv zu kommentieren.

Die Fehler in unserem Geldsystem sind ähnlich der kopernikanischen Wende im 16. Jahrhundert. Auch die hat bekanntlich etwas länger gedauert. Das Internet ermöglicht uns heute eine viel schnellere Verbreitung von Wissen und somit Aufklärung. Nutzen Sie daher bitte die technischen Möglichkeiten und leiten Sie diese Mail an alle Ihre Freunde und Bekannten weiter, bevor in Europa wieder die Scheiterhaufen brennen. Noch ist es nicht zu spät, aber die Entwicklung läuft zurzeit in die falsche Richtung. Ich befürchte, die Europawahl wird uns einen kleinen Vorgeschmack davon geben, was da noch auf uns zukommen könnte. Ich hoffe, dass ich mich irre und wir noch genügend Zeit haben, die destruktiven Kräfte zu kanalisieren. Denn in einem hatte Frau Merkel absolut recht: Scheitert der Euro, dann scheitert Europa! Und wer wie die AfD und ihre Apologeten glaubt, dass die Zukunft Deutschlands im Ausstieg aus dem Euro zu finden sei, der muss schon mit einer großen Portion an ökonomischer und historischer Naivität durch diese multipolare Welt irren.

In Sorge um ein friedliches Europa

Michael Stöcker

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Über Michael Stöcker

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
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3 Antworten zu Studentenaufruf vom 16.05.2014

  1. wolfgang.kloetzer schreibt:

    Ja, im wesentlichen ist alles was Herr Stöcker schreibt schon richtig, aber es fehlt mir doch ein wenig:Zunächst würde ich das Bedauern der Frau Kanzlerin durch knallharte Kritik ersetzen, weis doch diese Frau genau was sie tut! Entschuldigen wegen „falscher Berater“ wäre ja ein schöner Gag, wäre Freispruch wegen Unzurechnungsfähigkeit weit gefehlt!
    Was aber nun die Lösung des Problems angeht wird das Kapital wie auch schon in früheren Zeiten die Last auf die Völker abwälzen, was ja im Süden schon deutlich zu sehen ist. Niemand sollte da Illusionen haben und glauben es würde hier nicht so sein! Es wird auch keine 20 Jahre mehr dauern bis sich auch der Letzte davon selbst überzeugen können wird. Merkel und Co werden dann in aller Stille Ihr angehäuftes Vermögen „geniesen“ oder, wie vergangenen Kanzler so offen belegen, von Ihren Auftraggebern der Vergangenheit freundlich belohnt werden, sollten sie dazu noch in der Lage sein!:
    Dabei ist eben ein wesentlicher Punkt unbeachtet: Es wird der Tag kommen an dem die Völker nicht nur erkennen sonder auch handeln! Die Geschichte hat leider immer wieder zeigen müssen das Demokratie wie sie derzeit praktiziert, oder zumindest verkündet wird, eben nicht zu den notwendigen Veränderungen führt, solange das Kapital in den Händen einer kleinen, sich auch noch Elite nennenden Gruppe von Betrügern verbleibt und gesellschaftliche Produktion und private Aneignung das System bilden auf dem die Gesellschaft basiert. Da wird wohl Marx und Lenin, die ja die Entmachtung der Banken schon forderten, an den Hochschulen wieder erweitert gelehrt werden müssen um Gesetzmäßigkeiten nicht nur zu kennen sondern auch in der Praxis anzuwenden. Bis dahin kann ja selbst der theoretische Widerstand der Studierenden vielleicht zumindest auf das Problem aufmerksam machen, also sollten alle die diesen Aufruf gelesen haben ihn unterstützen und weiter verbreiten! W.K.

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  2. christoph schreibt:

    Hallo,

    sehr interessanter Blog. Mich würden Details zur falschen Darstellung zur Geldschöpfung der BuBa interessieren. Ich kenne nur die neueste Auflage. Beziehen Sie sich auf den Ansatz mit dem Geldmultiplikator, d.h. alles Geld wird bis auf Mindestreserve immer weiter verliehen (geom. Reihe)? Danke für weitere Hinweise.

    Christoph

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