In diesem Punkt irrt Herr Prof. Sinn

Herrn Prof. Sinn gebührt der Respekt und der Dank hinsichtlich der Offenlegung der Target-Problematik. In einem Gastbeitrag für die FAZ hat er gestern noch einmal als Reaktion auf einen Beitrag von Marcel Fratzscher seine Sicht der Dinge dargelegt.

Viele Leser dieses Beitrags beklagen zu Recht, dass die Thematik nicht einfach zu verstehen ist. Dies ist in der Tat so, auch wenn manche der Diskutanten hier anderer Meinung sind und fordern, Deutschland möge aus dem Europrojekt aussteigen und schon ist alles wieder gut. Dies wäre aber ein folgenschwerer Irrtum. Warum? Die Fehler sind alle in der Vergangenheit gemacht worden. Das Kind liegt im Brunnen! Und die AfD-Apologeten möchten sich am liebsten in einem Harakiri-Kommando hinterher stürzen. Sancta Simplicitas.

Die Ursachen der Targetsalden liegen vor allem in den Leistungsbilanzüberschüssen Deutschlands, die eine Folge der ungleichen Vermögensverteilung sowie der Privatisierung der Altersvorsorge sind (Riester und Co.). Es gibt in Deutschland einfach zu viele Ersparnisse, die keine höherverzinsliche Verwendung mehr gefunden haben und von daher in risikoreichere Investments umgeschichtet wurden. Jetzt ist dieses Risiko eingetreten, aber nicht der Investor (1 %) musste haften, sondern die Gemeinschaft der Bürger (99 %). Wenn Deutschland hohe Devisenreserven erwirtschaftet, dann jubeln die meisten. Dabei sind die Targetsalden zu einem großen Teil das Gleiche wie Devisenreserven, nur dass die Werthaltigkeit dieser Reserven letztlich bei der EZB liegt und nicht wie beim Dollar bei der FED.

Und nun noch zu dem Teil des Beitrags von Prof. Sinn, den ich für falsch halte. Prof. Sinn schreibt:

Hätte es Anreize gegeben, die Target-Salden durch das Abstellen der Druckerpressen im Süden zurückzufahren, etwa durch die Notwendigkeit, für diese Salden höhere Zinsen zu zahlen, wie es Ex-Bundesbank-Präsident Helmut Schlesinger vorschlägt, oder sie mit Gold zu tilgen, wie es im Festkurs-System von Bretton Woods oder auch im inneramerikanischen Zahlungsverkehr bis 1975 der Fall war, dann hätten sich höhere Zinsen in Südeuropa herausgebildet. Privates Kapital wäre dann wieder bereitwilliger über den Interbankenmarkt gen Süden geflossen. Höhere Zinsen hätten die südlichen Länder umgekehrt zu mehr Sparsamkeit veranlasst und dazu beigetragen, die für eine Verringerung der strukturellen Leistungsbilanzdefizite notwendigen realwirtschaftlichen Anpassungen am Arbeitsmarkt und im Staat durchzuführen.

Ein hohes Zinsniveau hilft dem Süden z. Z. nicht, da die Wettbewerbsfähigkeit doch ohnehin krankt. Wenn also einerseits eine Lohnanpassung nach unten nötig ist, kann ich sie nicht auf der anderen Seite durch höhere Finanzierungskosten (höhere Zinsen) konterkarieren. Herr Prof. Sinn scheint mir in diesem Fall Gefangener der neoklassischen Synthese des IS-LM-Modells zu sein. Dieses Modell war aber noch nie richtig; ist bislang wohl aber nur einer kleinen Minderheit aufgefallen.

Wo ich Prof. Sinn wiederum ausdrücklich zustimme, ist seine Forderung nach einer höheren Inflationierung in Deutschland. Aber diese ist mit den klassischen geldpolitischen Instrumenten nicht initiierbar (von Assetinflation mal abgesehen, die aber nicht initiiert werden muss, sondern schon lange da ist). Es ist höchste Zeit für ein neues ökonomisches Denken jenseits der klassischen Grabenkämpfe von Monetaristen und Neokeynesianern.

Über Michael Stöcker

Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
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Eine Antwort zu In diesem Punkt irrt Herr Prof. Sinn

  1. CGB schreibt:

    Hallo Michael, warum es nicht sinnvoll ist, übereilt aus dem Euro zu drängen – siehe auch: http://stephan.schulmeister.wifo.ac.at/fileadmin/homepage_schulmeister/files/EuroabwicklungDerFinaleSchrittInDenWirtschaftskrieg.pdf. T2-Salden entstehen einfach auch nur bei Kapitalflucht (Überweisung) – siehe Abb. http://de.wikipedia.org/wiki/TARGET2#mediaviewer/File:TARGET2-Salden_bei_SEPA-%C3% Die T2-Salden bilden zum anderen Teil den ab 2007/2008 ausgetrockneten Interbankenmarkt ab. Da die deutschen Geschäftsbanken (in der Gesamtheit) aufgrund der Exportüberschüsse über ausreichend Überschussreserven verfügen (sollten), könnten sie Kredit an die Banken der Defizitstaaten gewähren – tun sie aber nicht – die Finanzierung des jeweiligen Exportdefizits (=Überschuss Deutschlands) erfolgt dann über nationale ZB-Geldschöpfung (da hat Sinn ausnahmsweise[!] recht) der Defizitstaaten.

    Deutsche T2-Forderungen sind Verbindlichkeiten der Defizitstaaten. Ok, aber die gleiche Situation bei ausgeglichenen T2-Salden (aufgrund deutscher Interbankenkredite): Forderungen der deutschen Geschäftsbanken sind Verbindlichkeiten der Defizitstaaten. (siehe auch http://de.wikipedia.org/wiki/TARGET2#mediaviewer/File:TARGET2-Saldenausgleich_(Interbankenkredit_%26_Leistung).png) Viel Unterschied ist da letztlich also nicht. Sinn hat zu dieser Thematik also sinnlos Staub aufgewirbelt. (Vielleicht hast du die Thematik an anderer Stelle ohnehin detailliert erläutert – sorry, wenn ich hier erläutere, was vielleicht schon längst andernorts erklärt ist!) Grüße! Christoph

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